Kleine Zeitung vom 27. November 2012

Heimkehr nach langen 74 Jahren

"Heimkehr" nach langen 74 Jahren

Es war ein berührender, ehrerbietender Abend für eine lange vergessene Frau: Am Wochenende wurde das Mürzzuschlager Gymnasium in "Herta Reich Gymnasium" unbenannt. Die Jüdin wurde 1938 aus der Stadt vertrieben.

Nach dem Festakt sah man Herta Reichs Familie noch durch Mürzzuschlag spazieren. Herta Reich war nach ihrer Flucht nie wieder zurückgekommen. Den Veranstaltern ist geglückt, dass sie das mit dem Festakt tat, obwohl sie im Februar verstorben ist. Vor Jahren wurde Reichs ehemaliges Heimathaus abgerissen und auch der Garten kam weg. Dazu überreichte ein Schüler an Heimo Hirschmann, dem Leiter des Gymnasiums, kürzlich einen Brief von Herta Reich. Jemand schickte ihr damals die Bassena aus dem ersten Stock. "Das ist, was geblieben ist. Und das Heimweh", schreibt Reich in diesem Brief.

 

Nun steht vor der Schule eine Skulptur von Michael Gletthofer, die Reichs Namen sichtbar macht. Man wolle, so Hirschmann, nach außen hin zeigen, wofür diese Schule steht. "Dass wir Lehrer und die Schüler diese Gräuel der Vergangenheit absolut ablehnen." Nie mehr solle sich die Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer Rasse, ihrer Herkunft oder ihrer Religion wiederholen. Die Umbenennung sieht Hirschmann als "humanistischen Akt", der auch im Schulalltag gelebt werden soll. Hirschmann will damit auch die Brücke zu Europa schlagen. "Sie wissen vielleicht, ich bin ein glühender Verfechter des gemeinsamen Europa, meiner Meinung nach das größte Friedensprojekt." Und auch Bezirkshauptfrau Gabriele Budiman sah neben der Wertschätzung für Reich ein weiteres Signal in der Ehrung: alle Menschen, egal welcher Herkunft, gleich zu behandeln.

"Kühne" Anfrage

Im Mai dieses Jahres schickte Bürgermeister Karl Rudischer ein Mail an Hirschmann. "Ist es kühn, anzufragen, das Gymnasium in Herta-Reich-Gymnasium umzubenennen?" Anfragen für eine Ehrung Reichs in Richtung Gemeinde kamen übrigens auch von Gemeinderat Franz Rosenblattl (KPÖ-Liste Pro MZ) und Robert Lotter, dem Geschäftsführer der Mürzzuschlager Kaplanakademie und des Kunsthauses. Eine Ehrenbürgerschaft für Reich war rechtlich nicht möglich und eine Straße, oder einen Platz nach ihr zu benennen, schien nicht genug. "Aber sie war immer noch Mürzzuschlagerin", so Rudischer. Also entstand die Idee zur Benennung der Schule nach der Vertriebenen.

Persönliche Schicksale

Herta Reichs Sohn Ronny Reich - er zählt zu den renommiertesten Archäologen Israels - war nach Mürzzuschlag gekommen. Er sei sehr bewegt, mit seiner Frau, seinen Kindern und seiner Cousine zur Ehrung seiner Mutter hier zu sein, sagte er. Zwei Tage und 74 Jahre nach ihrer Vertreibung. "Jetzt ist ihr Name und ihr Bild nach Mürzzuschlag zurückgekehrt." Wäre Reich einmal in ihre Heimat zurückgekommen, "Sie hätten sie vielleicht im Cafe Wien sitzen gesehen", meinte er zum Publikum. Reich verwies auf die tragische, jahrelange Flucht seiner Mutter und deren Schwester, die dabei im Hafenbecken von Haifa ertrank. "Solche Geschichten sollten in der Schule erzählt werden." Denn die Schrecken dieser Jahre könne die Jugend am besten durch persönliche Schicksale verstehen. Mit "meine Familie und ich sind euch sehr dankbar", schloss Reich.

Landesschulinspektor Robert Hinteregger fand kritische Worte zum Geschichtsunterricht: "Es gelingt nicht, bei den Schülern Betroffenheit zu erzeugen." Das Unterrichtsmaterial beschäftige sich mit der Politik, vernachlässige aber Alltagsleben und Arbeitswelt des Dritten Reiches. Eine sehr emotionale Rede mit berührenden Abschiedsworten hielt Heimo Gruber, Co-Autor des Buches "Zwei Tage Zeit" über Reich. Gruber zitierte Reich, die er persönlich kannte, mit "Ich habe Mürzzuschlag geliebt. Diese wunderschönen Skiausflüge auf die Schneealm und die Hinteralm. Alles vorbei."

MICHAELA AUER

Veröffentlicht: 26. November 2012